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Wirtschaft

Attacke am Arbeitsplatz

| Lesedauer: 6 Minuten
In Unternehmen kommt es immer wieder zu Mobbing. Eine Expertin erklärt, wann Betroffene handeln sollten und was dagegen hilft

Schon der Gedanke an die Arbeit kann zur Hölle werden. Denn nicht nur bei Kindern, sondern auch unter Erwachsenen ist ein ernst zu nehmendes Phänomen verbreitet: Mobbing. Mehr als 60 Prozent der deutschen Arbeitnehmer haben es am Arbeitsplatz schon erlebt. Jeder Vierte war sogar selbst schon Opfer von Mobbing, zeigt eine repräsentative Umfrage des Bürobedarf-Vertreibers Viking.

Die Folgen sind zum Teil immens. Einige Betroffene erkranken so schwer, dass sie nicht mehr arbeiten können. Das lässt sich auch in Zahlen messen: Bis zu 25 Milliarden Euro kostet Mobbing die Volkswirtschaft jährlich, schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Dieser entsteht durch die erhöhte Fluktuation und Fehlzeiten der betroffenen Arbeitnehmer.

Die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki beschäftigt sich schon lange mit dem Phänomen. Im Telefoninterview erklärt sie, wieso es unter Kollegen zu systematischen Demütigungen und Intrigen kommt und was Betroffene dagegen tun können.

WELT:

Frau Wardetzki, was sind typische Mobbingsituationen am Arbeitsplatz?

Bärbel Wardetzki:

Mobbing ist in vielen Unternehmen ein großes Thema. Es kann schon damit anfangen, dass eine Person in der Firma über wichtige Termine bewusst nicht informiert wird. Oder dass sie persönlich entwertet wird – zum Beispiel, indem Kollegen die Augen verdrehen, wenn die betroffene Person in der Runde spricht, oder sie geschnitten wird nach dem Motto: „Den oder die gibt’s gar nicht.“ Aber auch wenn man der Person ihr schönes Büro wegnimmt und sie in eine Abstellkammer setzt oder ihr wichtige Aufgaben entzieht. Das Spektrum reicht von ganz bewussten Demütigungen, Ausgrenzungen, Verleumdungen bis hin zu Intrigen.

Wie lässt sich Mobbing von Konflikten und Missverständnissen, die es im Arbeitsalltag häufig gibt, unterscheiden?

Um Mobbing handelt es sich dann, wenn diese entwertenden und demütigenden Handlungen gezielt und oft passieren, also mindestens einmal die Woche und mindestens ein halbes Jahr lang. Mobbing ist also nicht, wenn ich mal das Gefühl habe, jemand ist gegen mich, sondern wenn die Attacken systematisch und über einen längeren Zeitraum geschehen.

Wann sollten Betroffene handeln?

Handeln sollte man in dem Moment, in dem man sich nicht mehr wohl fühlt. Das Problem ist, dass Betroffene oft viel zu lange warten. Einige warten so lange, bis ihr Selbstwertgefühl im Keller ist und sie sich überhaupt nicht mehr wehren können. Das wird im Laufe der Zeit immer schlimmer. Deshalb ist es wichtig, schon bei ersten Anzeichen achtsam zu sein und sich lieber früh Hilfe zu holen. Mobbing ist ein Permanentkonflikt, der unglaublich viel Kraft kostet und ja nicht nur den Einzelnen, sondern das gesamte Team betrifft. An einem bestimmten Punkt im Mobbingprozess hat niemand mehr Interesse an einer Lösung; nämlich wenn die Beteiligten irgendwann merken, dass sich an der Situation ohnehin nichts ändert. Und so lange warten die meisten – leider.

Welche Folgen kann das mit sich ziehen?

Betroffene können psychische Probleme bekommen, Angstsymptome entwickeln, Panikattacken, wenn sie schon an die Arbeit denken sowie psychosomatische Krankheiten. Depressionen sind auch möglich.

Ist es an diesem Punkt das Beste, das Unternehmen zu verlassen?

Das wäre klug, ja.

Wieso kommt es in Unternehmen immer wieder zu solchen Fällen?

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Manchmal hat Mobbing etwas mit dem Unternehmen an sich zu tun und nichts mit dem Betroffenen persönlich. Es kommt in Unternehmen vor, dass alles Negative auf eine bestimmte Person projiziert wird. Mobbing kann aber natürlich auch persönliche Gründe haben. Vielleicht hängen die Kollegen noch am Vorgänger und bringen dem neuen Kollegen deshalb etwa keine Wertschätzung entgegen. Auch wenn man Einzelne nicht zum Mittagessen mitnimmt, kann das sehr kränkend sein. Kommen mehrere solcher Dinge zusammen, dann kann es sein, dass der Betroffene anfängt, sich selbst distanziert gegenüber den Kollegen zu verhalten und sich so noch mehr von ihnen zu entfernen.

Also kann es sein, dass Betroffene selbst eine Mitschuld an der Situation haben?

Eventuell ja. In der Regel werden diejenigen zu Gemobbten, die nicht in der Gruppe der Kollegen integriert sind, sondern relativ schnell zum Außenseiter werden. Manchmal sind Betroffene aber auch keine Unschuldslämmer: Wenn zum Beispiel ein neuer Mitarbeiter in der Firma anfängt und alles kritisiert, was da in seinen Augen falsch läuft, dann braucht er sich nicht darüber wundern, wenn die Kollegen ihn ablehnen. Denn das entwertet ihre bisherige Arbeit.

Zu Mobbing kommt es aber nicht nur unter gleichrangigen Kollegen. Auch sogenanntes Bossing, also Mobben durch den Vorgesetzten, ist ein Thema. Wieso mobben Chefs?

Zum Mobbing gehört immer, dass sich die betroffene Person unterlegen fühlt. Wenn Leute sich gleichrangig fühlen, kommt es nicht zu Mobbing. Daher wird ein Mensch in der Regel nur gemobbt, wenn er selber unsicher ist und sich möglicherweise in einer Position befindet, in der er persönliche Schwächen hat. Es kann zum Beispiel sein, dass der Mitarbeiter eine Kompetenz besitzt, die sein Chef oder Vorgesetzter nicht hat. Durch die Angst, überflügelt zu werden, dreht der den Spieß um und fängt an, den Mitarbeiter und seine Leistung schlecht zu machen. Das Klima im Unternehmen hängt natürlich stark von der Führungsfähigkeit oder -unfähigkeit der Vorgesetzten ab. Ein guter Chef duldet Mobbing in seinem Unternehmen nicht.

An wen können Betroffene sich wenden?

Am besten ist externe Hilfe. Es gibt öffentliche Mobbingberatungsstellen, bei denen betroffene Personen Hilfe finden. Mit den Beratern können sie individuell entscheiden, wie sie am besten mit der Situation umgehen und was sie als nächstes tun sollten. Es gibt solche Anlaufstellen für Mobbing auch von Gewerkschaften. Oder Betroffene wenden sich an den Betriebsrat im Unternehmen.

Gibt es rechtliche Möglichkeiten, gegen Mobbing vorzugehen?

Das ist von der Situation abhängig. Wenn ich zum Beispiel entlassen werde und das Gefühl habe, dass das vollkommen ungerechtfertigt ist, dann muss ich natürlich juristische Schritt unternehmen, ganz klar. Jeder sollte sich aber bewusst machen: Wenn ich über Jahre gemobbt werde – offenbar also im Unternehmen nicht mehr gewollt bin – und dann gegen eine Kündigung klage, löse ich damit ja das psychologische Problem nicht. Ich kann zwar Schadensersatz fordern und juristisch Recht bekommen. Das nützt mir nur nichts, wenn ich immer noch nicht weiß, wie ich das Mobbing verhindern kann. Und das ist sehr wichtig, um nicht immer und immer wieder in die Mobbingfalle zu laufen.

Gibt es konkrete Strategien für Mobbing-Opfer?

Sich zunächst mal nicht in die Opferrolle drängen lassen – das ist ganz wichtig. Stattdessen sollten sich Betroffene sagen: „Halt, hier läuft was falsch, und das lasse ich nicht zu. Jetzt hole ich mir Hilfe.“ Das Allerwichtigste ist, dass ich als Gemobbter mein Selbstwertgefühl stärke und mich nicht in die unterlegene Position drängen lasse. Ich sollte herausfinden, was mich verunsichert und mir meiner Fähigkeiten und Kompetenzen bewusst werden. Mein Tipp ist, ein Stärken-Tagebuch zu führen. Dort kann man aufschreiben: Was kann ich? Was ist mir heute besonders gut gelungen? Wenn man sich das dann später durchliest, führt das einem vor Augen, was man alles erreicht hat. Wichtig ist nämlich, sich Erfolge selbst zuzuschreiben.