München. Es ist eines der Buzzwords der Arbeitswelt: Mobbing. Oft gehört, in Teeküchen, an Fließbändern, nach Feierabend. „Du mobbst mich“, das hat wohl jeder schon mal zu Ohren bekommen. Doch wie groß ist das Problem wirklich? Ist jeder Zoff im Job schon Mobbing? Was sind die Folgen für Arbeitnehmer, denen im Arbeitsalltag wirklich übel mitgespielt wird? Und wie wehrt man sich richtig?

aktiv hat mit führenden Experten gesprochen und gibt konkrete Tipps gegen den Psychoterror am Arbeitsplatz.

Was ist Mobbing genau?

Im Betrieb geht was schief, die Fetzen fliegen, es wird laut. Ein paar Wochen später kracht es erneut. Im Fokus steht ein Mitarbeiter, der einen Fehler gemacht haben soll. Wird der Kollege damit schon von anderen gemobbt? „Nein“, sagt Bärbel Wardetzki, renommierte Münchener Psychotherapeutin und Buchautorin („Kränkungen am Arbeitsplatz“). „Als Mobbing definiert man schikanierendes, ausgrenzendes, kränkendes Verhalten am Arbeitsplatz, ausgeübt von Vorgesetzten oder Kollegen.“

Ein einmaliger Vorfall reicht da nicht. Beim Mobbing drangsaliert der Täter sein Opfer systematisch und über einen längeren Zeitraum. „Faustregel: Einmal pro Woche und über mindestens ein halbes Jahr, dann spricht man von Mobbing“, so die Expertin.

Das perfide Ziel der Täter ist immer gleich: Das Opfer soll persönlich gedemütigt und ausgegrenzt werden. Weiteres typisches Merkmal: Es ist nie ein Kampf zwischen gleichstarken Kontrahenten. „Es gibt stets ein Gefälle, der Gemobbte fühlt sich dabei immer unterlegen.“

Wie läuft der Konflikt ab?

Oftmals beginnt das Übel dabei mit einem scheinbar alltäglichen Konflikt unter zwei Kollegen. „Der kann sich ausweiten, plötzlich sieht sich das Opfer einer ganzen Gruppe gegenüber“, sagt Wardetzki. Daher auch der Begriff: Mobbing stammt vom englischen „to mob“ und bedeutet anpöbeln, bedrängen.

Die Liste der Gemeinheiten ist lang: ständige Kritik an der Arbeitsleistung, die Zuweisung kränkender Aufgaben, Tuscheleien hinter dem Rücken des Betroffenen, das Vorenthalten relevanter Informationen – das ist Mobbing.

Laut Statistik beliebteste Spielart: Das Verbreiten von Gerüchten. „Oft aber sind es anfangs ganz kleine Handlungen, die den Stein ins Rollen bringen“, so Wardetzki. „Wenn Kollegen oder Vorgesetzte mit den Augen rollen, wenn das Opfer sich äußert, kann das ein ernstes Anzeichen für Mobbing sein.“

Was sollten Mobbing-Opfer tun?

Sofort raus aus der Opferrolle! „Betroffene müssen so schnell wie möglich ein klares Stopp-Signal senden“, rät der Münchner Mobbing- und Konflikt-Experte Dieter Schlund. „Wer sich gemobbt fühlt, muss das auf den Tisch bringen, klar sagen: Halt, ich möchte das so nicht.“ Entweder sollte man die Mobber mit ihrem Verhalten konfrontieren oder sich hilfesuchend an den Chef wenden.

Auch der Gang zum Betriebsrat oder zur Personalabteilung ist möglich. Dafür aber brauche es Selbstbewusstsein – und genau das hat wegen der Mobbing-Attacken ja gelitten. „Wer sich nicht stark genug für ein klärendes Gespräch fühlt, sollte eine Vertrauensperson miteinbeziehen“, empfiehlt Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki. Das könnten auch Personen außerhalb des Betriebs sein, also Freunde, Familie, auch externe Beratungsstellen. Nur: „Niemals alles in sich hineinfressen!“

Das häufig empfohlene Mobbing-Tagebuch helfe dagegen nur begrenzt, sagt Wardetzki. Es tauge zwar dazu, den ersten Frust zu verschriftlichen, zudem sei ein Dokument hilfreich, um die Taten minutiös aufzulisten. „Aber das allein reicht nicht!“

Zwar gibt es in Deutschland kein Anti-Mobbing-Gesetz. Das Betriebsverfassungsgesetz aber erlaubt es jedem Arbeitnehmer, sich über ungerechte Behandlung beim Arbeitgeber zu beschweren. Lässt das Unternehmen die Beschwerde zu, muss es für Abhilfe sorgen. In einem möglichen Prozess aber liegt die Beweislast beim Mobbing-Opfer. Deshalb: belastendes Material wie E-Mails unbedingt sammeln!

Wie sollten sich Kollegen verhalten?

Grundregel: Nicht einfach wegschauen. Sondern idealwerweise ebenfalls schnell reagieren, am besten in Absprache mit dem Gemobbten. Wer sich an Mobbing-Aktionen nicht beteiligt, sondern das Opfer vielmehr offen verteidigt, leistet wertvolle Hilfe.

Wo wird gemobbt?

Passieren kann das überall. Laut amtlichem Mobbing-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aber gibt es Branchen, in denen das Mobbing-Risiko deutlich höher liegt. Dazu zählen beispielsweise die Gesundheitsbranche, das Banken- und Versicherungswesen sowie der Einzelhandel.

Aber auch Berufsgruppen wie beispielsweise Techniker unterliegen einem fast doppelt so hohen Mobbing-Risiko wie der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung.

Wie viele Arbeitnehmer sind betroffen?

Kann man schwer sagen, die Datenlage ist mau, die Dunkelziffer wohl hoch. Der erwähnte Mobbing-Report stammt aus dem Jahr 2002! Damals gaben 3 Prozent der Befragten an, aktuell gemobbt zu werden. Hochgerechnet auf die seither deutlich gestiegene Zahl der Erwerbstätigen würden demnach aktuell in Deutschland rund 1,4 Millionen Menschen gemobbt.

Angesichts von derzeit etwa 45 Millionen Erwerbstätigen ist die Gruppe der Betroffenen damit also immer noch relativ klein. Für Mobbing-Opfer selbst aber ist das natürlich nur ein schwacher Trost.

Laut Studie sind übrigens in mehr als der Hälfte der Mobbing-Fälle die Vorgesetzten der Opfer zumindest beteiligt. Dieses Mobbing von oben nach unten nennt man „Bossing“. Seltener ist das „Staffing“. Hier attackieren Mitarbeiter ihre Führungskraft.

Warum machen die Mobber das?

Am Anfang steht zumeist ein ungelöster Konflikt, der das Betriebsklima belastet. Häufig spielen Unsicherheiten, Unzufriedenheiten, Konkurrenzkämpfe oder Neid eine Rolle. „Plötzlich wird ein Sündenbock gesucht, an dem man Dampf ablassen kann“, so Therapeutin Wardetzki.

Nach ersten subtilen Angriffen verselbstständigt sich die Sache. Das Opfer sieht sich zunehmend isoliert. „Das Selbstvertrauen sinkt, dem Opfer unterlaufen Fehler, die Mobber fühlen sich bestätigt.“ Wehrt sich das Opfer nicht, werden die Angriffe aggressiver und offener. Der Teufelskreis beginnt.

Was sind die Folgen von Mobbing?

Mobbing macht krank! Stresssymptome wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen sind der Anfang. Auch chronisch verlaufende Erkrankungen wie Depressionen sind häufige Folgen. „Es gibt gut gesicherte Erkenntnisse, dass durch schwere belastende Erfahrungen wie Mobbing auch sogenannte Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Rheuma sowie andere organische Erkrankungen wahrscheinlicher werden“, sagt Professor Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin der TU München.

Laut Statistik erkrankt jedes dritte Mobbing-Opfer langfristig und fehlt dem Betrieb bis zu einem Jahr.

Mehr noch: „Auch für Betriebe sind die Mobbing-Folgen katastrophal, der volkswirtschaftliche Schaden ist immens“, sagt der Kölner Unternehmens-Coach und Mobbing-Forscher Frank Sauer. Weil wertvolle Mitarbeiter lange krankheitsbedingt ausfallen, sich Fehler häufen, Teamleistungen sinken und die Motivation in den Keller geht.

Wie können Unternehmen vorbeugen?

„Auf die Unternehmenskultur, den Umgang miteinander kommt es an“, sagt Unternehmens-Coach Frank Sauer. Und die definiere sich durch von allen gelebte Werte. „Achtsamkeit, Respekt, Wertschätzung, Teamspirit, eine offene Feedback-Kultur – in einer solchen Arbeitsumgebung findet Mobbing keinen Nährboden.“

Mit einem in die Ecke gehängten Leitbild allein aber sei es da nicht getan. Sauer: „Das muss im Unternehmen jeden Tag gelebt werden, auch gerade die Führungsetage muss da vorbildlich sein.“