Toxische Beziehung: Partnerinnen und Partner von narzisstischen Menschen leiden während des Lockdowns besonders. Wie man Warnsignale erkennt und sich rechtzeitig löst.
Toxische Beziehung in Zeiten von Corona
Coole Rezepte ausprobiert, Weinabende auf dem Balkon, Google Hangouts - und endlich sind der Dachboden aufgeräumt und das Bad gestrichen. Einige Paare scheinen von den Corona-Beschränkungen regelrecht profitiert zu haben. Alles super - aber eben nicht bei allen. Andere Beziehungen, die vielleicht eh schon unter Druck standen, verschlechterten sich in einer belastenden Situation wie der aktuellen Corona-Krise noch einmal, ungesundes Verhalten verschlimmert sich.
Narzisstische Menschen haben kein »Wir-Gefühl, kein »Wir zwei miteinander, wir machen das.« Sie haben nur: »Ich brauche dich, damit es mir gut geht.«
Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin und Narzissmus-ExpertinTweet
Häusliche Gewalt in Zeiten von Corona
Auf Instagram werden solche Probleme in der Regel jedoch nicht sichtbar – und auch nicht beim Zoom-Spieleabend. Wer gibt gerne zu, Zuhause in Abgründe zu blicken, gerade wenn alle anderen (scheinbar) so toll mit der Situation zurecht kommen? Sichtbar wird das Leiden vor allem in der Statistik. Eine chinesische Frauenrechtsorganisation berichtete von einer Verdreifachung der Anrufe wegen häuslicher Gewalt. Zahlen aus Italien weisen auf eine ähnliche Entwicklung hin. Bei der Telefonseelsorge riefen ab Beginn des Lockdowns fast doppelt so viele Menschen an.
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Wie sich die aktuelle Situation psychisch auswirkt
Der Psychiater und Psychotherapeut Tillmann Krüger und seine Kolleg*innen vom Zentrum für Seelische Gesundheit an der Medizinischen Hochschule in Hannover befragen ab Anfang April Menschen zu ihrem Erleben der Ausnahmesituation: Sie stellten eine Anstieg von Stress, Angst, depressiven Symptomen, Schlafstörungen, Reizbarkeit und Aggression fest. 5 Prozent der Teilnehmenden gaben an, häusliche Gewalt erfahren zu haben, verbal, körperlich oder sexueller Natur. (Derzeit erfolgt eine zweite Welle der Erhebung, zu der alle Interessierten unter folgendem Link eingeladen sind.)
Fehlende Anerkennung für narzisstische Menschen
Gerade für Menschen mit schwierigen Persönlichkeitsanteilen können die Corona-Einschränkungen ein großes Problem sein – und das Zusammenleben mit ihnen eine echte Herausforderung. Online-Konferenzen können die Bestätigung von außen, die etwa Menschen mit narzisstischen Verhaltensmustern so dringend verlangen, nur unzureichend ersetzen. Die Aufmerksamkeit der Kollegen, Machtspiele, das Lob der Chefin, Bewunderung im Fitness-Studio, der große Auftritt auf einer Party, all diese Quellen der Aufwertung sind mit mit der Corona-Pandemie nahezu versiegt.
Die Schattenseiten von #stayhome
Und auch Affären, heimliche Flirts und Dreiecksbeziehungen, nach denen ausgeprägt narzisstische Menschen häufig nahezu gieren, um ihren Selbstwert zu stabilisieren, lassen sich in Zeiten des Social Distancing weit schwerer zu gestalten. Petronella Wyatt, britische Journalistin (und ehemalige Geliebte von Boris Johnson), ätzte etwa via Twitter Ende April: „Viele erfolgreiche Geschäftsleute und Politiker, die das Ende des Lockdowns fordern, tun dies nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Etwa 50 Prozent dieser Leute haben außereheliche Affären. Sie konnten ihre Geliebten nicht sehen und sitzen zu Hause mit Ehefrauen fest, die sie nicht mögen.“
Menschen in narzisstischen Beziehungen sind so stark mit der Aufrechterhaltung ihres Selbstwertgefühls beschäftigt, dass ihnen die gefühlvolle Zuwendung zum anderen fehlt.
Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin und Narzissmus-ExpertinTweet
Worunter Partner*innen von Narzissten leiden
Ein narzisstischer Persönlichkeitsstil kann es einem Menschen schwer machen, mit Einschränkungen, wie sie durch die COVID-19-Pandemie notwendig geworden sind, angemessen und reif umzugehen. Der oder die Partnerin zu Hause war und ist unter Umständen nun die einzige Person, die jetzt noch zur Verfügung steht. Auf sie wird nun der ganze Ärger und Frust ausgeschüttet, in der nächsten Sekunde soll dieser Mensch jedoch Bestätigung und Bewunderung liefern. Das sind Ansprüche, die ein Partner, eine Partnerin gar nicht erfüllen kann – und auch nicht sollte.
Wie man eine toxische Beziehung erkennt
Dysfunktionale Beziehungen funktionieren jedoch genau nach diesem Muster: Die Bedürfnisse des einen stehen dominant im Vordergrund, die Aufgabe des anderen ist es, sie zu erfüllen. „Narzisstische Menschen haben kein »Wir-Gefühl, kein »Wir zwei miteinander, wir machen das. Wir leben das. Wir machen uns das Leben gut miteinander.« Sie haben nur: »Ich brauche dich, damit es mir gut geht. Und deshalb muss du so sein, wie ich dich haben will.« Menschen in narzisstischen Beziehungen sind so stark mit der Aufrechterhaltung ihres Selbstwertgefühls beschäftigt, dass ihnen die gefühlvolle Zuwendung zum anderen fehlt“, sagt die Münchner Psychotherapeutin und Narzissmus-Expertin Bärbel Wardetzki.
Bedürfnisse wahrnehmen und Grenzen setzen
Wenn diese ungleiche Aufgabenverteilung in einer Beziehung unter normalen Umständen irgendwie funktioniert hat, kann es sein, dass in der derzeitigen Ausnahmesituation die Grenzen des Erträglichen überschritten wurden. Für all jene, die dazu neigen, ihre Bedürfnisse und Wünsche hintenanzustellen, um den Partner bei Laune zu halten, die es gewohnt sind, Wut und Abwertung durch vorauseilende Gefälligkeit zu vermeiden, ist es jetzt umso wichtiger, nicht nur auf den anderen gucken, sondern auch auf sich. Was brauche ich? Und vor allem: Wie kann ich Grenzen setzen? „Die Lockerungen nehmen vielleicht etwas Druck aus der Situation. Was vorgefallen ist, sollte man deshalb aber nicht vergessen, sondern sich Unterstützung suchen und selbstschützende Konsequenzen ziehen“, sagt die Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki.
Kontaktstellen, um sich Hilfe zu holen
Hilfe bei häuslicher Gewalt
- Das Familienministerium hat die Kampagne „Stärker als Gewalt“ gestartet, um Betroffene zu unterstützen. Per Whatsapp, Online-Chat oder Telefon werden Hilfe und Beratung angeboten. Klare Botschaft: „Gewalt fängt nicht erst bei Schlägen an. Dazu gehört auch psychische Gewalt in Form von Demütigungen, Drohungen oder Einschüchterungen.“
Online-Therapie Programm
- Homeoffice, Social Distancing, Ausgangssperren und Quarantäne: Diese notwendigen Maßnahmen können die eigene Psyche vor große Herausforderungen stellen. Der Online-Therapie-Anbieter Selfapy stellt sein Programm zur Unterstützung bei Belastungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie derzeit komplett kostenfrei zur Verfügung.
iFight Depression
- Das iFightDepression Tool ist ein internetbasiertes und begleitetes Selbstmanagement-Programm für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren. Normalerweise setzt iFightDepression eine Begleitung durch einen Arzt oder Psychologischen Psychotherapeuten voraus – denn Studien belegen, dass Online-Programme dann besonders wirksam sind. Da viele Patienten durch das Coronavirus zu Hause bleiben müssen und Hausärzte an ihre Belastungsgrenzen stoßen, ist das Programm bis Ende Juni auch ohne Begleitung zugänglich. Betroffene können sich formlos über die E-Mail-Adresse ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de für das Programm anmelden und werden innerhalb von 24 Stunden freigeschaltet. (Gibt es übrigens auch auf englisch.)
Hilfe bei Erziehungsproblemen und Stress im Familienalltag
- Kostenlos – und auf Wunsch anonym – wird Eltern von dem STEP-Erziehungsprogramm professionelle Unterstützung per Telefon für ihre persönlichen Herausforderungen im Umgang mit ihren Kindern angeboten,
Sprechen Sie über Ihre Sorgen und Ängste
- Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222.
- Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP e.V.) hat eine BDP-Corona-Hotline eingerichtet - täglich von 8 bis 20 Uhr kostenlos und anonym unter 0800 777 22 44.
Training zur Stärkung der Stressresilienz in Zeiten von COVID-19
- AUFKURSBLEIBEN kompakt ist ein Angebot des Leibniz-Institut für Resilienzforschung und kann komplett online, anonym und kostenlos durchgeführt werden,
Laufende Therapien fortführen
- Gruppenpsychotherapien können übergangsweise bis zum 30. Juni 2020 in Einzelpsychotherapie umgewandelt werden.
- Ab dem 1. April 2020 dürfen Videobehandlungen vorübergehend unbegrenzt durchgeführt werden. Die bisherige Regelung, nach der maximal 20 Prozent der Patient*innen innerhalb eines Quartals ausschließlich per Video behandelt werden dürfen, ist aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt. Auch probatorische Sitzungen können befristet bis zum 30. Juni 2020 per Video durchgeführt werden, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, dass Therapeut und Patient*innen in Kontakt treten können.
- Psychotherapeut*innen können ihre Patient*innen auch telefonisch weiter beraten und behandeln. Damit soll sichergestellt werden, dass Psychotherapeut*innen auch die Behandlungen von Patient*innen ohne Zugang zu Videotechnik fortsetzen können.
Literatur zum Thema
„Genug ist genug“: Narzissmus, Egozentrik und emotionaler Missbrauch: Wie toxische Beziehungen entstehen – und wie Sie sich daraus lösen können. 10 Interviews mit renommierten Expert*innen wie Bärbel Wardetzki, Stefanie Stahl, Lydia Benecke und Reinhard Haller. Von Silke Gronwald und Almut Siegert, Edition Ten Talks,13 Euro, im Buchhandel, über amazon.de oder ten-talks.de
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